Plenarwoche: Müller-Witt mit zwei Reden

Elisabeth Müller-Witt im Plenum
Elisabeth Müller-Witt im Plenum

Während der vergangenen zwei Plenartage hatte die Landtagsabgeordnete Elisabeth Müller-Witt gleich zweimal die Gelegenheit eine Rede zu verschiedenenen Anträgen zu halten. Am Mittwoch sprach sie für die SPD-Fraktion zu dem Antrag der CDU-Fraktion: „Die Spätaussiedler sind ein gut integrierter Teil unserer Gesellschaft – Nordrhein-Westfalen würdigt ihre Lebens- und Integrationsleistung und verurteilt alle Versuche der Polarisierung und Desinformation“ und am Donnerstag zum Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen: „Kulturelle Vielfalt als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor nutzen“:

Rede von Mittwoch:

Seit 1950 sind rund 4,5 Millionen Spätaussiedler in die Bundesrepublik eingewandert. Diese große Gruppe der Bevölkerung ist heute, wie schon zuvor die Millionen Flüchtlinge nach dem 2. Weltkrieg, integriert und selbstverständlich Teil der hier lebenden Bevölkerung. Allein in Nordrhein-Westfalen haben weit mehr als 600.000 Spätaussiedler eine neue Heimat gefunden.

Angesichts des selbstverständlichen Miteinanders ist es umso befremdlicher, wenn versucht wird, diese Menschen zu instrumentalisieren und für eigene Ziele zu missbrauchen. Die jüngste Eskalation auf Grund von Behauptungen in Sozialen Medien zeigt, dass die alleinige Information vieler Menschen über diese Medien zu einer völligen Desinformation bis hin zur üblen Nachrede führen kann. Der Pressekodex des Deutschen Presserates gilt zwar für journalistische online-Veröffentlichungen, erfasst aber nicht die teilweise von anonymen Einzelpersonen verbreiteten Nachrichten in Internetmedien nicht.

Deshalb begrüßt die SPD-Fraktion ausdrücklich die am 5. Februar verabschiedete und veröffentlichte „Düsseldorfer Erklärung“. Dabei ist es allerdings bedrückend, wenn in der Erklärung festgestellt werden muss, dass sich viele Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion hier nicht vollständig anerkannt und akzeptiert fühlen. Die Düsseldorfer Erklärung setzt damit in zweierlei Hinsicht ein Signal: einerseits an die gesamte Bevölkerung unseres Landes für mehr Toleranz und Akzeptanz gegen Diskriminierung. Andererseits, und das steht im Mittelpunkt des vorliegenden Antrags, ein deutliches Signal an Rechtsextreme und andere interessierte Kreise, dass sich die Spätaussiedler eine Vereinnahmung durch diese Kräfte verbitten und sich ausdrücklich von ihnen distanzieren.

Die SPD-Fraktion kennt und schätzt den wirtschaftlichen und kulturellen Beitrag, den die Spätaussiedler und ihre Nachkommen für Nordrhein-Westfalen leisten. Dies in gleichem Maße wie Nordrhein-Westfalen schon immer ein Land des Willkommens für Zuwandererinnen und Zuwanderer, woher auch immer, war und ist. Als Bürgerinnen und Bürger eines Landes der Vielfalt der Kulturen ist es für uns nicht hinnehmbar, dass Menschen ausgegrenzt oder diskriminiert werden. Aus diesem Grund wenden wir uns gegen die Ausgrenzung oder auch Instrumentalisierung von Minderheiten oder von Zuwanderern, egal woher sie kommen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die vom Landtag initiierte Befassung mit §96 BVFG, die auch die Gruppe der Spätaussiedler betrifft, inzwischen in Form eines ersten Konzeptes vorliegt. Dieses wurde im Rahmen eines vom MFKJKS (Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport) veranstalteten Workshops unter Hinzuziehung von Experten ausführlich diskutiert. Der Diskurs soll in weiteren Runden seine Fortsetzung finden. D.h. auch im Hinblick auf die Unterstützung der Arbeit der im §96 BVFG angesprochenen Gruppen hat die Landesregierung einen partizipativen Prozess gestartet. Nun gilt es der gelebten Willkommenskultur unter Einziehung der Betroffenen zeitgemäße Strukturen zu geben.

Wir stimmen gerne dem Antrag auf Überweisung in den Ausschuss zu.

Rede von Donnerstag:

Ein Teil der Erfolgsgeschichte Nordrhein-Westfalens ist auch die Erfolgsgeschichte der gelungenen Integration von Zuwandern.

Die Industrialisierung des heutigen Gebietes von Nordrhein-Westfalen ist ohne Zuwanderung nicht denkbar. Bereits die vor gut dreihundert Jahren eingewanderten Hugenotten, übrigens auch Flüchtlinge vor Verfolgung und meist der deutschen Sprache nicht mächtig, haben durch die Gründung von Handwerksbetrieben und kleinen Manufakturen Impulse gesetzt. Später war es der Steinkohlebergbau, der Arbeitskräfte aus Polen anwarb, anschließend die Stahl- und Automobilindustrie unseres Landes, die zusätzliche Arbeitskräfte benötigten. In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden Arbeitskräfte aus Südeuropa angeworben. Mit dem Schengen-Abkommen wurde die Freizügigkeit für Arbeitskräfte vollständig verwirklicht. Heute ziehen wirtschaftlich florierende Regionen wie Nordrhein-Westfalen Arbeitskräfte aus vielen Ländern an. Für unser Land war und ist diese permanente Zuwanderung eine Erfolgsgeschichte. Diese so entstandene kulturelle Vielfalt entwickelte sich zu einem Markenzeichen unseres Landes und trug maßgeblich zum Wirtschaftswachstum bei.

So ist festzustellen, dass die Zahl der hier sich niederlassenden selbständigen Ausländer in den letzten beiden Jahrzehnten prozentual etwa dreimal so stark angestiegen ist wie die Zahl der einheimischen Selbstständigen. Mittlerweile besitzt jede sechste unternehmerisch engagierte Person in Deutschland einen Migrationshintergrund. Angesichts des höheren Anteils an Menschen mit Migrationshintergrund in NRW im Vergleich zu anderen Bundesländern dürfte diese Relation in NRW noch deutlich höher zugunsten der Zuwanderer ausfallen. Da bei der statischen Erfassung der Selbständigen, um jegliche Form der Diskriminierung zu vermeiden, keine Unterscheidung zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gemacht wird, kann diese Erfolgsgeschichte nicht ohne weiteres mit konkreten Zahlen belegt werden.

Nach gut festgefügtem Vorurteil wird häufig bei den Gründerinnen und Gründern mit Migrationshintergrund davon ausgegangen, dass sie insbesondere kleinere gastronomische Betriebe, Änderungsschneidereien oder kleine Lebensmittelgeschäfte aufbauen. Das Gegenteil ist der Fall, Untersuchungen zeigen, dass der Anteil der in diesen Segmenten tätigen Migranten seit Jahren rückläufig ist, andererseits die Bedeutung wissensintensiver Dienstleistungen wächst. Diese Entwicklung hat neben 2 Mio. Arbeitsplätzen auch eine wachsende Zahl an Ausbildungsplätzen zur Folge gehabt. Wie wir erst kürzlich in der Debatte zu den Freien Berufen feststellen konnten, hat gerade der Dienstleistungssektor auch im Industrieland NRW aufgrund des stetigen Wandels von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft, immer größere Bedeutung erlangt. Hieran partizipieren insbesondere Migranten.

 

Derzeit erfährt die sogenannte migrantische Ökonomie in Deutschland neue Impulse. Durch den tendenziell rückläufigen Anteil Selbständiger aus den ehemaligen Anwerbeländern und durch den Zustrom neuer und besser gebildeter Zuwanderergruppen, vor allem aus Mittel- und Osteuropa und dem Nahen und Mittleren Osten, verändern sich nicht nur die Charakteristika sondern auch die Entwicklungsbedingungen von Migrantenselbständigkeit.

Generell steigt die Zahl ausländischer Selbständiger in den letzten Jahren stark und weit überproportional zur Entwicklung der ausländischen Bevölkerung in Deutschland. Wenn man die Selbstständigen mit Migrationshintergrund betrachtet, so besteht noch die Hälfte aus ehemaligen sogenannten Gastarbeitern und ihren Nachfahren.

Von den 4,4 Millionen Selbstständigen in Deutschland haben 760.000 einen Migrationshintergrund.

Dies macht deutlich, welche ökonomische Bedeutung die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaft hat. Noch starten zurzeit Migranten – je nach Herkunftsgebiet – mit 1,5 bis 3fach höherer Wahrscheinlichkeit als Deutsche ihr Unternehmen aus der Position der Arbeitslosigkeit (und mit dem Thema Gründungsneigung, Gründungsmentalität haben wir uns in diesem Hause ja schon mehrfach beschäftigt).

Allerdings zählt schon jedes vierte Migrantenunternehmen zu den wissensintensiven Dienstleistungen. Ein Trend, der stark zunimmt.

Der typische selbstständige Migrant ist bei weitem nicht der Arbeitssuchende, der an Stelle einer abhängigen Beschäftigung die Dönerbude oder den kleinen Gemüseladen an der Ecke aufmacht (und auch die sind unverzichtbar in unseren Quartieren), nein, die Motivation ist vielfältiger und die Berufe sind wissensbasierter geworden. Deutschland, NRW scheint, allen Unkenrufen zum Trotz, ein attraktiver Standort für Selbstständigkeit zu sein. Es ist sind Bedingungen, die uns Deutschen vielleicht nicht immer sofort bewusst sind, weil sie für uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden sind: ein verlässlicher Rechtsstaat, geringes Vorhandensein von Korruption und ein zuverlässiges Banken- und Sparkassenangebot zur Finanzierung.

Allerdings ist auch festzustellen, dass gerade Selbstständige mit Migrationshintergrund auch auf spezifische Hindernisse stoßen: so mangelt es häufig an Anerkennung von ausländischen Qualifikationen und Abschlüssen. Sie stoßen vermehrt auf Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Gründungs- aber auch der Wachstumsphase. Eine im Vergleich zu Gründern ohne Migrationshintergrund verschärfte Herausforderung. Dies mag u.a. an der mangelhaften Vermittlung der vorhandenen Förderangebote liegen, aber auch an den immer noch vorhandenen Vorbehalten der migrantischen Gründer gegenüber den Kammern. Und schließlich macht der sonst so positiv wahrgenommene Rechtsstaat Vorgaben und stellt Anforderungen, die in der Herkunftskultur weniger oder gar nicht ausgeprägt sind und dadurch teilweise auf Unverständnis stoßen.

Mit dem vorliegenden Antrag möchten wir den großen Beitrag, den die kulturelle Vielfalt zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes beiträgt, einerseits unsere Wertschätzung ausdrücken. Andererseits darauf aufmerksam machen, dass die Voraussetzungen für die weitere Erfolgsgeschichte der migrantischen Ökonomie noch zu verbessern sind.

So sind alle in Frage kommenden Einrichtungen und Partner hinsichtlich ihrer interkulturellen Beratungskompetenz für Selbstständige und solche, die es werden wollen, zu verbessern, sei es die Startercenter.NRW, die NRW.Bank und die Bürgschaftsbank oder auch die Kammern und viele andere mehr.

Es ist höchste Zeit, dass wahrgenommen und wertgeschätzt wird, welchen wichtigen Beitrag die kulturelle Vielfalt unserer Bevölkerung zum wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes leistet. Es ist ein Beitrag zur erfolgreich gelebten Integration. Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss.